Die Bedeutung von Teilzeitarbeit
- Günter Thoma
- 1. Feb.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Feb.
Mehr und mehr Menschen in Deutschland finden Gefallen an Teilzeitarbeit, so die Statistik. Ein weiteres Indiz für das zunehmende gesellschaftliche Interesse an Teilzeitarbeit ist die Tatsache, dass auf nationaler und internationaler Ebene die 4-Tages-Woche diskutiert wird. Mehrere Länder experimentieren damit. Länder wie Belgien haben sie bereits gesetzlich verankert. In Deutschland wurde kürzlich ein Feldversuch mit 50 Unternehmen gestartet, um mit Teilzeit Erfahrung zu sammeln. In der Tat hat Teilzeitarbeit viele Vorteile; einige wesentliche werden hier genannt:
Vorteil 1
Missstände wie Mehrarbeit, Leistungsdruck, Zeitdruck, Erfolgsdruck, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, chronische Unterbesetzung, sinnlose Jobs, machen uns nicht nur das Arbeitsleben schwer, sondern wirken sich negativ auf uns bzw. unsere Gesundheit aus. Die Reduzierung der Arbeitszeit ist die effektivste Art und Weise, die negativen Auswirkungen der Missstände auf den einzelnen Arbeitnehmenden zu reduzieren – weit wirksamer als Yoga, Meditation oder Fitness-Training. Arbeiten wir nämlich weniger Stunden, sind wir schlicht und einfach den Mängeln und Missständen weniger ausgesetzt.
Vorteil 2
Die Arbeitsgesellschaft wandelt sich zur Leistungsgesellschaft: wir gehen keiner Arbeit mehr nach, sondern haben eine Leistung zu erbringen. Ja, Höchstleistung ist gefragt – und die kann man nicht in Vollzeit erbringen, sondern nur in Teilzeit. Um einen Vergleich zu nennen: Ein Profi-Fußballer, der jeden Abend ein Bundesliga-Spiel zu absolvieren hätte, wäre bald ausgepowert, verletzungsanfällig und würde im Ergebnis weniger Leistung erbringen. Und das gilt auch für uns. Teilzeit wird also zur Bedingung für mehr Leistung.
Vorteil 3
Auf der gesellschaftlichen Ebene steht ebenfalls Arbeitszeitreduzierung an. Die anhaltende Technologisierung der Arbeit, die jetzt durch die Digitalisierung einen enormen Schub erhält, wird so viel Produktivitätsfortschritt bringen, dass Menschen bei weniger Arbeitsstunden die gleiche Leistung erbringen können. Außerdem automatisiert die Digitalisierung mehr Jobs als sie neue schafft, so dass die entstehende Beschäftigungslosigkeit nur dadurch ausgeglichen werden kann, dass alle weniger und dafür mehr Menschen einer Beschäftigung nachgehen können.
Vorteil 4
Nichts tun wir mehr in unserem Leben als Arbeiten: 8 Stunden am Tag / 40 Stunden die Woche usw. Doch damit nicht genug. Der Job nimmt noch mehr von unserem restlichen Leben in Anspruch durch Überstunden, durch Pendeln, durch Weiterbildung und in dem man die Arbeit mit „nach Hause nimmt“ usw.
Das Resultat: Andere Lebensinhalte lassen sich nicht oder nicht angemessen neben dem Job integrieren. Es gibt Konflikte bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Diese lassen sich beheben, wenn wir statt Vollzeit Teilzeit arbeiten.
Vorteil 5 Teilzeit ist die Voraussetzung für Erwerbstätige, die bereits verlängerte und sich verlängernde Lebensarbeitszeit zu bewältigen. Denn da man sich durch Teilzeit nicht verausgabt, bleibt die Arbeitskraft und Arbeitsfähigkeit dauerhaft erhalten. Teilzeit ist also im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig.
Vorteil 6
Teilzeit unterscheidet sich von den anderen Arbeitszeitmodellen wie Gleitzeit, Arbeitszeitkonten oder Sabbaticals dadurch, dass sie dauerhaft die Arbeitszeit reduziert. Und diese Tatsache ist ihr eigentliches Potenzial: Wer in Teilzeit geht, relativiert die Bedeutung des Jobs und gibt etwas anderem eine gleichwertige Bedeutung oder sogar einen noch höheren Wert – sei es der Gesundheit gegenüber dem Job, dem Zeitwohlstand gegenüber noch mehr materiellen Wohlstands usw.
Bedingungen für Teilzeitarbeit
Zeitliche Bedingung
Die Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung sind vielfältig: ob 10%, 20%, 30%, 40%, 50% usw. Das heißt, man muss sich darüber klar werden, um wie viel Prozent oder Stunden man seine Arbeitszeit reduzieren will. Neben dem Umfang der Reduzierung spielt eine wichtige Rolle, wie man die Arbeitsstunden auf die Woche vorhat zu verteilen: will man die Stunden gleichmäßig auf 5 Tage verteilen oder will man seine Teilzeit auf wenige Tage konzentrieren.
Finanzielle Bedingungen
Je weniger man arbeitet, desto weniger Geld verdient man. Viele schreckt diese Aussicht ab und fragen sich, ob sie sich das leisten können. Daher ist es wichtig, abzuklären, wie man den materiellen Verlust ausgleichen kann:
Teilzeit ermöglicht es, solange zu arbeiten wie man will oder kann – sie orientiert sich nicht an den künstlichen Altersgrenzen von 65 oder 67. Es gibt keinen Grund mit „Arbeiten/Tätig-sein“ aufzuhören. Wir alle kennen Beispiele von Menschen, die bis zum letzten Atemzug tätig waren. Der Grund, warum so viele so bald wie möglich mit dem Arbeiten aufhören wollen, hat ja damit zu tun, weil die Arbeit so belastend ist. Wäre das nicht der Fall, würden viele Menschen gerne länger arbeiten. Daher lautet das Motto: weniger und dafür länger arbeiten. Und damit wird der Verlust an Einkommen pro Monat oder pro Jahr, verursacht durch den Teilzeitjob, schon durch eine längere Lebensarbeitszeit relativiert.
Digitalisierung und damit die Automatisierung der Arbeit sind in vollem Gange und nicht mehr aufzuhalten. Wichtig aber ist, dass die Gewinne aus Produktivitäts-fortschritten auch der Belegschaft zugutekommen. Das heißt: Lohn und Gehalt steigen mit diesen Fortschritten.
Aufgrund der Steuerdegression fällt das Nettogehalt prozentual nicht genauso stark wie brutto, wenn man seine Arbeitszeit verkürzt.
Ein weiterer Weg, um finanzielle Verluste auszugleichen ist „Selbstversorgung“. Das bedeutet, man stellt sich selbst Dinge her, statt sie zu kaufen. Folglich braucht man weniger Geld für den Lebensunterhalt - und das kommt Teilzeitarbeitenden entgegen. Viele Menschen haben schon Elemente von Selbstversorgung in ihr Leben integriert und wollen diese nicht missen, nicht nur weil man dadurch Geld spart, sondern weil Eigenarbeit auch zur Selbstbestätigung, zur Selbstwirksamkeit und zum Ausgleich gegenüber dem Job beiträgt.
Rechtliche Bedingung
Durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz hat man einen Anspruch auf Teilzeitarbeit, zumindest wenn man in Organisationen arbeitet, die mehr als 15 Mitarbeitende beschäftigen.
Ideelle Bedingung
Damit man seine Arbeitszeit verringert, ist es wichtig, ein bedeutsames Ziel zu haben für die freiwerdende Zeit. Dieses Ziel können wir mit dem Konzept „New Work“ von Frithjof Bergmann identifizieren, das uns lehrt, dass es Tätigkeiten gibt, die weitaus wichtiger und bedeutsamer für unsere Entwicklung sind als der Job.
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