In seinem Buch „Freiheit für alle“ beschäftigt sich Precht im Unterkapitel „Retten oder ersetzen? Die Humanisierung der Arbeit“ (S. 265 – 290) unter anderen mit Frithjof Bergmann und seinem Konzept "New Work". Dabei sind viele seiner Äußerungen schlicht und einfach unsachlich und haltlos:
Precht behauptet in Bezug auf Frithjof Bergmann: „Auch er gehört zu den Aposteln einer humanisierten Arbeitswelt, die er New Work nennt.“ (Seite 284-285).
Richtig ist: Bergmanns Lebensaufgabe bestand darin, das herrschende Arbeitssystem zu überwinden und eine neue Kultur zu ermöglichen, in der Menschen anders als bisher leben und arbeiten. Daher passt Bergmann sicherlich nicht in die Schublade, in die ihn Precht versucht zu stecken.
Precht stellt in Bezug auf Bergmann fest: „Seinem großen Vorschlag eines „horizontalen Schnitts“ durch die Arbeitszeit folgte der Konzern nicht.“ (Seite 285).
Ja und? Was folgt daraus? Sind missglückte Versuche etwa ein Einwand oder ein Beweis dafür, ein Konzept zu widerlegen? Im Gegensatz zu Precht hat Bergmann die Praxis und ihre Mühen nie gescheut. Nur Bücher zu schreiben, über den Dingen zu stehen, sich die Hände nicht schmutzig zu machen und dadurch sich in die Position zu bringen, immer recht zu haben, ist nicht nur eine bequeme, sondern letztlich auch eine ohnmächtige Position. Bergmann hingegen wusste um die immensen Anstrengungen, derer es bedarf, um in der Arbeitsgesellschaft etwas zu verändern. Diese hat er mit Geduld und endloser Energie unternommen. Die Kombination aus philosophischem Tiefgang, Wissen um die Praxis und seine Menschenkenntnis machen „New Work-New Culture“ zu dem bisher vielleicht wertvollsten Beitrag zur Zukunft der Arbeit.
Precht behauptet Seite 285: „Ein Leben lang war es ziemlich still um Bergmann.“ Es verschlägt einem bei Behauptungen dieser Art die Sprache. Würde ein Studierender in einer Hausarbeit so etwas schreiben, ließe man es ihm nicht durchgehen. Wie viel mehr disqualifiziert es einen Spiegel-Bestseller-Autor.
Also: Spätestens seit Mitte der 80er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts war Bergmann weltweit unterwegs in Sachen „New Work“. Dass er in der amerikanischen Automobilindustrie für Aufsehen sorgte, erwähnt Precht selbst. In Deutschland war er seit dieser Zeit ein gefragter Gesprächspartner bei den unterschiedlichsten Akteuren der Arbeitsgesellschaft und die deutschen Zeitungen dürften insgesamt mehr Artikel über Bergmann als über Precht geschrieben haben. Doch schon vor den 80er Jahren war es um Bergmann nicht „ziemlich still“, wie man seiner Biographie entnehmen kann. So schrieb er ein wegweisendes Buch über die Freiheit (on being free), um die Grundlagen für seine spätere Arbeit zu legen. (Übrigens ganz im Gegensatz zu Precht, der sein Buch „Freiheit für alle“ nennt und man dann vergebens ein Kapitel über Freiheit darin sucht, um zu verstehen, was er damit meint).
Dann bemängelt Precht, ebenfalls auf Seite 285, dass Bergmanns Hauptwerk „gänzlich ohne Anmerkungen“ geschrieben sei. Auch hier muss man fragen: Ja und? Hängt die Qualität eines Buches etwa davon ab, wie lang die Literaturliste im Anhang ist? Wie absurd Prechts Bemerkung ist, zeigt sich daran, wenn man diese auf Werke von Denkern wie Hegel, Goethe und Nietzsche anwendet. Andererseits ist es so, dass das Protzen mit Anmerkungen und viel Literatur lange noch keine Bedingung für ein gutes Bund sind.
Aber es kommt noch toller. Seite 287 versteigt sich Precht in die Aussage: „Kein Wunder bei so viel Esoterik, dass Bergmanns New Work ihren Platz eher dort findet, wo ohnehin von work und nicht von labour die Rede ist: als frivoler Denkanstoß bei Unternehmensberatern und in Manager-Seminaren.“
Fangen wir die Korrektur von hinten her an: Was Unternehmensberater und Manager-Seminare als „New Work“ abhandeln, hat mit Bergmanns Ansatz nichts zu tun. Bergmann selbst hat sein Konzept von ursprünglich „New Work“ zu „New Work-New Culture“ umbenannt, gerade um sich von dem, was sich heutzutage als „New Work“ entwickelt hat, zu unterscheiden. Mit anderen Worten: „New Work“ und „New Work“ sind wahrlich nicht dasselbe.
Darüber hinaus ist zu sagen, auch wenn der Name „New Work“ von Unternehmensberatern und Manager-Seminaren vereinnahmt wird, so bleibt Bergmanns Ansatz für alle Akteure in der Arbeitsgesellschaft relevant: Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Arbeitslosen-initiativen, Schulen, Gruppen, die von der Arbeitsgesellschaft ausgegrenzt werden...
Bergmanns Konzept „frivol“ zu nennen ist eine solche Verleumdung, dass sich diese Äußerung von selbst erledigt.
Bergmanns Kritik am Lohnarbeitssystem ist umfassend und bezieht sich auf die gesamte Arbeit. Die Unterscheidung in „work“ und „labour“, die Precht vornimmt, ist ja schon längst obsolet. Die Ökonomisierung der Arbeit verwandelt work und labour gleichermaßen in Jobs, die von unzähligen Mängeln geprägt sind. Nehmen wir das Beispiel Prechts vom Arztberuf als work. Welcher Arzt kann sich denn noch mit seiner Tätigkeit in einem betriebswirtschaftlich durchorganisierten Krankenhausbetrieb identifzieren? Oder glaubt etwa Precht, dass in den unzähligen Seminaren zur beruflichen Neuorientierung nur Menschen säßen, die „labour“ verrichten?
Dann weiter: „Sollten alle Menschen auf der Erde tatsächlich den Anspruch einlösen wollen, das zu tun, „was man wirklich, wirklich will“, arbeitete niemand mehr in einer überhitzten Textilfabrik in Bangladesch,...“ (Seite 287).
Auch hier wird Precht Bergmann nicht gerecht. Die Jobarbeit gehört zum neuen Arbeitssystem, so dass seine Sorge völlig unbegründet ist. Doch die neuen Technologien werden vor den Entwicklungsländern nicht Halt machen (und wäre nicht zu wünschen, dass Technologie die dortige Drecksarbeit übernimmt?), so dass sich eben nicht nur für uns die Frage nach der Zukunft der Arbeit stellt, sondern gleichzeitig global. Daher bedarf es eines entsprechenden globalen Ansatzes wie ihn „New Work-New Culture“ repräsentiert.
Precht unterstellt Bergmanns Konzept, dass es schließlich zu „Massenmigration, Bürgerkrieg, Revolutionen und Massaker“ führt. Nun ist es ja in Wirklichkeit so, dass wir diese Phänomene jetzt schon haben und in Zukunft immer mehr, weil der Kapitalismus aus unterschiedlichsten Gründen an seine Grenzen stößt, die Kluft zwischen arm und reich vergrößert und immer mehr Krisen produziert. Es ist also gerade andersherum wie Precht annimmt: machen wir so weiter wie bisher, wird es die von ihm genannten Unruhen geben. Ob Precht will oder nicht: wir benötigen eine Alternative zum Kapitalismus und die hat Bergmann formuliert.
Nehmen wir noch ein letztes Beispiel: „Und dass die psychologische Arbeit an sich selbst, das Kennenlernen der eigenen Wünsche, in sanftem Gleiten die globale Arbeitswelt revolutioniert, wie Bergmann verkündet, bleibt auch im 21. Jahrhundert eine bodenlose Hoffnung.“ (Seite 288).
Zunächst ist zu sagen: Bergmann hat nie von „psychologischer Arbeit an sich selbst“ gesprochen, sondern er hat ein ganz anderes „Programm“ vor Augen.
Ein „sanftes Gleiten“ ist im gesellschaftlichen Rahmen sicherlich einer „Disruption“ vorzuziehen, wie sie Precht auf Seite 294 für die Arbeitsgesellschaft vorschlägt. Abgesehen davon, dass Precht hier ein Zeitgeistwort und mehr noch einen Begriff aus der Wirtschaft auf die Gesellschaft überträgt und somit zu deren Ökonomisierung beiträgt, bedeutet Disruption „Erschütterung“ und „Störung“. Das heißt, mit Disruption gehen ungewisse Folgen einher. Und genau diese ergäben sich mit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens – auch wenn man nicht wissen kann, welche es sein werden.
Last but not least: ob Bergmanns Ansatz eine „bodenlose Hoffnung“ ist, bleibt der Zukunft überlassen und die kann schließlich niemand vorhersagen.
Fazit:
Es wären noch weitere Sätze Prechts zu Bergmann anzuführen und richtig zu stellen, aber irgendwann wird es pedantisch. Auch so sollte klar geworden sein, dass Precht Autoren wie Bergmann kleiner macht als sie sind, um dann sich selbst und seine „Sinngesellschaft“ zum Maß aller Dinge zu machen. Wenn man aber liest, was er hierunter versteht und fabriziert, kommt man zu dem Schluss: der vermeintliche Berg kreißte und gebar eine Maus:
Es wird keine Anstrengung unternommen zu erklären, was „Sinn“ konkret bedeuten soll.
Es wird keine Anstrengung unternommen darzulegen, was mit „Freiheit“ gemeint ist.
Es findet sich eine Aneinanderreihung von Zeitgeistbegriffen wie „Disruption“, „Flexibilität“, „Kreativität“, natürlich ohne nähere Erläuterung. Besonders irritierend ist, dass er dann deutsche Szenenviertel als Vorbilder für die Sinngesellschaft anführt. Wo man doch weiß, dass Szenenviertel der Mode unterworfen sind, so dass die, die heute die Avantgarde darstellen, morgen schon wieder out sind. Und was den von Precht angeführten Prenzlauer Berg angeht (Seite 302), so haben schon längst gewitzte Kabarettisten das dortige Leben durchschaut und so den Prenzlauer Berg & Co. untauglich gemacht als gesellschaftliches Vorbild.
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